(M)Eine wahre Geschichte Am 9. August 2019 am Vormittag, es war so gegen 9.00 Uhr, ging ich nach meinem Waldspaziergang an unserem (Gemeinschaft)Garten vorbei. Um mich ein wenig auszuruhen, ließ ich mich auf der Gartenbank nieder. Ich erschrak: Gestern abend stand er noch da, der Pfirsichbaum, in seiner ganzen Fülle. Heute: entzweigebrochen. Ich dachte, als ich da saß und ihn betrachtete: "Der ist jetzt unter seiner Last zusammengebrochen". Zu diesem Zeitpunkt war mir nicht bewusst, welche Bedeutung jene Worte für mich noch haben sollten. Am nächsten Tag beschloss ich, meine "Rollstuhlfreundin Roswitha" im Seniorenzentum zu besuchen. Zu einer Begegnung kam es aber nicht mehr. Roswitha war gestern vormittag (es war genau jene Zeit, als ich im Garten den "verunglückten" Pfirsichbaum betrachtete) "nach Hause gegangen". Wie alles begann: Vor einigen Jahren, als sich zusätzliche Zeitkapazitäten in meinem Leben aufgetan hatten, entschied ich mich, in einem Seniorenzentrum freiwillige Dienste anzubieten. Das Schicksal wollte es, und ich wurde mit Roswitha zusammengeführt. Ich erinnere mich noch genau an unser erstes Treffen, die Freizeitkoordinatorin stellte uns einander vor, nachdem sie mir zuvor unter vier Augen ein paar Details zu Roswithas Leben erläuterte: Roswitha war die am längsten im Heim Lebende. Sie kam mit etwa knapp 50, damals konnte sie noch gehen. Nachdem ihre Krankheit, Multiple Sklerose, weiter vorangeschritten war, musste sie mit dem Rollstuhl Vorlieb nehmen. Jetzt war sie über 70 und bereits schon 20 Jahre mit diesem Gefährt mobil. Meistens sehr selbständig und eigenhändig schob sie sich selber durch die Gegend. "Meine BeWUNDERung, liebe Roswitha". Sie war eine hagere Frau, im Volksmund würden wir sagen: "Haut und Knochen". Sehr gebückt saß sie in diesem Stuhl, der Oberkörper etwas nach vor geneigt. Ihr fehlte der Halt....im wahrsten Sinne des Wortes: Es fehlte ihr der Halt, Rückgrat, Stabilität. Etwas, das sie vom Leben anscheinend nie erhalten hatte oder aufgrund vergangener (Kindheits)Traumen unbewusst meinte, es nicht zu verdienen. An jenem ersten "Bekanntmachungstag" sozusagen haben sich unsere Herzen sofort gefunden. Wir fanden uns, kurz nachdem wir uns begrüßt hatten, bereits in einem sehr regen Gespräch über ihre Kindheit und die Zeit ihres Aufwachsens wieder. Ihre Augen leuchteten und unbewusst hatte ich scheinbar genau die "richtigen" Themen angesprochen, die ihr Herz sofort zum Strahlen brachten. ErINNERungen. Sie war eine sehr gebildete Frau, eine Frau Doktor, alle im Heim nannten sie auch Frau Doktor ........., und so blieb zwischen ihr und den anderen Bewohnern auch immer ein bisschen Distanz, weil man meinte, sie wäre doch wohl etwas Besseres mit einem Titel. Und sie hatte aufgrund dessen auch finanziell keinen Mangel zu leiden. Jammereien und Gespräche über diese oder jene Wehwehchen, welche bei vielen Seniorenzentrumsbewohnern auf der Tagesordnung standen, konnte Roswitha nichts abgewinnen. Lieber verbrachte sie ihre Zeit mit sich allein, als sich mit solchem Geschwätz (das meinte sie aber nicht arrogant und von oben herab) zu berieseln. Das wollte sie nicht. Und so waren wir diesbezüglich auf der gleichen Linie. Bereits bei unserem ersten Termin ergab sich eine für sie ganz neue Möglichkeit: Nämlich jene, das Seniorenzentrum erstmals nach 20 Jahren zu verlassen, um gemeinsam in der Stadt einen Kaffee zu genießen. Ja, so sollte es sein. Wir wollten das Stadtviertel besuchen, in dem sie aufgewachsen war. Wie aufregend. Es schien, als würde eine ganz neue Perspektive in ihrem Leben wieder Raum einnehmen. Die letzten 20 Jahre war sie niemals weiter als zum nahegelegenen Supermarkt gekommen oder erhaschte im angrenzenden Park so manche erste Sonnenstrahlen im Frühling. Samstag vormittags, und das war ihr fixes Ritual, ließ sie sich bei ihrem Friseur in ihrem Wohnungsviertel schön machen. Diese Plätze konnte sie selber mit dem Rollstuhl erreichen. Und Kraft hatte sie in ihren Armen und Händen, das durfte man ihr lassen. Sie hatte meine vollste Bewunderung und die hat sie noch immer. "Niemals aufgeben", war ihre Devise. Unter solchen Bedingungen wahrlich bewundernswert. Nun, wie gesagt, bei unserem zweiten Treffen bereits, verabredeten wir uns in einem Cafe in jenem Stadtviertel, wo sie vor 60 Jahren lebte. Es war ganz in meiner Nähe und deshalb kam sie mit dem Taxi (Seit "Ewigkeiten" pflegte sie, "ihr eigenes" Taxi zu ordern mit dem ihr vertrauten Taxifahrer. Das gab ihr Sicherheit und Vertrauen, und so durfte auch ich durch sie den überaus netten Herrn kennenlernen, mit dem noch viele weitere sehr angenehme Gespräche folgten) und ich mit dem öffentlichen Bus. Da im BioCafe der Kaffeehausbereich nur über Stufen zu erreichen war, sperrte man uns das Gartentor auf, um den Innenbereich des Cafes über den Garten zu erreichen. So konnten wir die Hürden der Stufen umgehen. Tja, was für uns "Gesund Gehende" sozusagen ganz selbstverständlich ist, stellt für Menschen im Rollstuhl eine ziemliche Herausforderung dar. Das vergessen wir nur all zu oft. Über das Zusammensein mit Roswitha und die vielen Ausflüge mit ihr, die noch folgten, durfte ich da noch sehr wertvolle Erfahrungen damit machen. Wir genossen unseren Kaffeehausbesuch in vollen Zügen Es war etwas ganz Besonderes für Roswitha nach so vielen Jahren das erste Mal wieder Stadtluft zu schnuppern, "Neue-Lebens-Luft", besser gesagt. Nach 1 - 2 Stunden Plaudern und Schlemmen zeigte ich ihr unweit des Kaffeehauses das Gebiet, in dem sie früher einmal lebte. Es war sehr aufregend für sie und vieles erkannte sie sofort wieder. Auch die Straßenbezeichnungen, an die sie sich noch erinnerte, erregten sofort ihre Aufmerksamkeit (obwohl laut Seniorenheimleitung ihre Demenz angeblich fortschritt). Es war so eine Freude für mich und es belebte uns wahrlich alle beide. Mich, weil ich ihre Begeisterung sehen konnte und sie, weil in ihr alte Erinnerungen wach wurden, die sie mit großer Freude erfüllten. Nun wurde es aber Zeit, ans Heimfahren zu denken. Ich sah, dass es nun wieder genügte. So ein Ausflug war dann doch auch ganz schön anstrengend für sie. Nach 20 Jahren der erste "Ausritt" sozusagen, da durfte man nichts übertreiben. Wir riefen ihr Taxi und fuhren zurück ins Heim. Nach einiger Zeit des ersten Kennenlernens tauschten wir die Telefonnummern aus und so war ich auf diese Weise auch ein kleiner "Sicherheitshafen" für sie. Sie konnte sich melden, wann immer sie Bedarf hatte. Sie war eine sehr angenehme Frau, niemals aufdringlich. Als ich eines Tages bei der Freizeitkoordinatorin des Seniorenheims auf einen kurzen Austausch eingeladen war, hatte ich noch ein paar Minuten auf sie zu warten. Während ich so im Büro saß, während sie noch ein paar Kleinigkeiten draußen zu erledigen hatte, stiegen mir plötzlich Tränen in die Augen und eine Gänsehaut ergriff mich.....auf dem Bildschirm des PCs ihrer Bürokollegin erschien folgender Text: "Eines Nachts hatte ich einen Traum: Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn. Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten, Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben. Und jedesmal sah ich zwei Fußspuren im Sand, meine eigene und die meines Herrn. Als das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen war, blickte ich zurück. Ich erschrak als ich entdeckte, dass an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur zu sehen war. Und das waren gerade die schwersten Zeiten meines Lebens. Besorgt fragte ich den Herrn: "Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein. Aber jetzt entdecke ich, dass in den schwersten Zeiten meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist. Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am meisten brauchte?" Da antwortete er: "Mein liebes Kind, ich liebe dich und werde dich nie allein lassen, erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten. Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast, da habe ich dich getragen!" (aus SPUREN IM SAND) Spirit kommunizierte mit mir über jene Zeilen. Ich war tief berührt. WAHRlich, Roswitha und ich hatten in all den Jahren, die uns geschenkt, eine sehr besondere Zeit. Gemeinsames Essengehen in oft noblen Restaurants oder gemeinsames Kaffeetrinken in gemütlichen Cafes oder sonnigen Terrassen dieser waren keine Seltenheit. Ich erinnere mich noch genau, als wir das erste Mal mit dem öffentlichen Bus fuhren. Was für viele von uns so selbstverständlich und die meisten von uns sogar langweilig ist, war für sie so besonders. Weiters besuchten wir gemeinsam eine Käthe Recheis-Ausstellung mit Lesung. Damals war sie beim Vorlesen immer wieder eingenickt. Obwohl sie unsere "kleineren Ausflüge" doch sehr genoss, waren "die gemeinsamen Trips" auch anstrengend für sie. (Auch manchmal für mich, denn das Schieben des Rollstuhls bergauf oder auf Schotterstraßen forderte auch meine Kräfte heraus.) Dennoch, auch mal Sonntags ins Kaffeehaus in der Stadt zu gehen, das machte sie schon auch ein bisschen stolz und steigerte ihr Selbstvertrauen. Besonders gerne denke ich an jenen Spätnachmittag zurück, als ich sie in ihrem Zimmer ganz spontan mit meinem Besuch überraschte, und ihr meine selbstgeschriebenen Texte und Geschichten vorlas. Sie liebte es. Ich weiß es noch, sie lag schon im Bett. Es war etwa 17 Uhr, die Sonne stand schon sehr tief und schien nur mehr da und dort ins Zimmer herein. Bei manchen Textstellen, genau passend und wie göttlich geführt, leuchtete das Sonnenlicht direkt auf ihr Gesicht. Es war sehr besonders. Auch die Stimmung im Raum war wie heilig. Wir genossen es beide und ich fuhr voll Freude weg und sie blieb voll Freude zurück, bereit für ihren Schlaf. Ihre beiden Unfälle, bei denen sie beim Alleinefahren mit dem Rollstuhl bergab fuhr und dabei umkippte, folgten in eher geringen Abständen nacheinander. Sie verletzte sich beide Male schwer am Kopf. Dennoch, ihre Devise war: "Nicht aufgeben". Ich spürte, wie ihr Innerstes oft weinte, sie aber vom Kopf und Verstand her, die Dinge beschwichtigte. Tja, das kennen wir, Kopf und Herz klaffen oft sehr auseinander. Von da an bemerkte ich, wie ihr Erinnerungsvermögen mehr und mehr schwand, sie sich auch manchmal verwirrt gab und ihr freudiges Gemüt von Mal zu Mal etwas von dem Strahlen verlor. Immer öfter sprach sie nun vom Sterben, und dass sie gerne heimgehen würde. Von da an dauerte es auch nicht mehr lange, bis es an jenem Samstagvormittag soweit war. Der Pfirsichbaum war entzwei gebrochen. Ihr Lebens- und auch Leidensweg hatte ein irdisches Ende. Ich freue mich, dass wir noch ein kleines Stück des Weges gemeinsam gehen durften. Danke Spirit.
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Juni 2023
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